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Nachbar darf überhängende Äste abschneiden, auch wenn die Standfestigkeit des Baumes gefährdet ist

Der Bundesgerichtshof hat nicht nur Fälle zu entscheiden, die die Welt verändern, manchmal sind es auch schnöde Nachbarrechtsstreitigkeiten, so wie hier.

Die Kläger dieses Verfahrens sind Eigentümer eines Grundstücks unmittelbar an der Grenze zu ihrem Nachbarn. Dort steht seit ca. 40 Jahren eine etwa 15 m hohe Schwarzkiefer, deren Äste seit mindestens 20 Jahren auf das Grundstück des Beklagten herüberragen, Nadeln und Zapfen fallen auf dessen Grundstück.

Der Beklagte hatte die Kläger erfolglos aufgefordert, die Äste der Kiefer zurückzuschneiden, schließlich schnitt er überhängende Zweige selbst ab.

Damit waren die Kläger nicht einverstanden, weil sie befürchteten, dass die Standsicherheit des Baumes gefährdet sei und verlangten von ihrem Nachbarn, dies zukünftig zu unterlassen, soweit Überhängezweige höher als 5 m sind.

Damit hatten sie sowohl vor dem Amtsgericht als auch vor dem Landgericht Erfolg. Der Bundesgerichtshof sah dies jedoch anders, hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache erneut an das Landgericht, das nun klären muss, ob die Nutzung des Grundstücks des Beklagten durch den Überhang beeinträchtigt wird.

Begründet hat der Bundesgerichtshof seine Entscheidung damit, dass die Rechtsprechung, auf die sich das Landgericht zur Begründung bezogen hat, inzwischen überholt war.

Sollte sich herausstellen, dass die Nutzung des Grundstücks des Beklagten durch den Überhang beeinträchtigt wird, so ist die Entfernung des Überhangs durch den Beklagten für die Kläger selbst dann nicht unzumutbar, wenn dadurch das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht!

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist das Selbsthilferecht aus § 910 Abs. 1 BGB einfach und allgemein verständlich ausgestaltet und unterliegt keiner Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung.

Die Verantwortung dafür, dass Äste und Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, liegt beim Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht. Wenn er der Verpflichtung, wie hier der Kläger, nicht nachkommt und die Zweige des Baums über die Grundstücksgrenze wachsen lässt, kann er nicht unter Verweis darauf, dass der Baum durch das Abschneiden der Zweige an der Grundstücksgrenze seine Standfestigkeit zu verlieren oder abzusterben droht, von seinem Nachbar verlangen, das Abschneiden zu unterlassen und die Beeinträchtigung seines Grundstücks hinzunehmen.

Einschränkungen könnten sich bestenfalls durch naturschutzrechtliche Regelungen, wie z.B. Baumschutzsatzung oder Verordnungen, ergeben.

Ob ein solcher Fall vorliegt, muss das Landgericht nun ebenfalls prüfen. BGH, Urteil vom 11.06.2021, V ZR 234/19.